Olivia Berckemeyers Wachs-Skulpturen

Thomas Groetz, 2007

Um die Skulpturen von Olivia Berckemeyer in Augenschein zu nehmen, muss der Betrachter nah an sie heran treten. Auf Sockeln montiert, begegnet er miniaturisierten Herrscher-Figuren. Verkörpert werden typisierte Portraits, die aus einer langen abendländischen Tradition stammen. Krieger auf Pferden, Reiterstandbilder, aufeinander bezogene Doppel-Bildnisse und Portrait-Büsten sind seit der Antike die geläufigen Rollenmodelle, mit denen sich die politische und kirchliche Macht in Szene setzt.

Klassisch erscheinen auch die Posen vieler der Figuren: Ermächtigungsgesten, mit denen Schwerter und Säbel gen Himmel gezückt werden, sowie in den Boden gepflanzte Stäbe als Herrschaftsinsignien, die Besitzansprüche und Triumphe markieren. Stolz stehende und galoppierende Pferde versinn-bildlichen eine geballte bzw. eine rasant vorwärts stürmende animalische Kraft, die sich mit den Kriegern und Bezwingern verbündet hat.

Konterkariert werden diese traditionsreichen Bildnistypen, die unter anderem in der Renaissance im Zuge des Humanismus wieder stark verbreitet wurden, nicht nur durch ihre Verkleinerung, die einer Herabsetzung gleichkommt, sondern vor allem durch die Art ihrer Materialisation. Die Künstlerin formte, goss und tröpfelte die Großen und Mächtigen dieser Welt in Wachs. Ihre Figuren erhalten so eine Patina, die zwischen Lava, Schlick und Zuckerguss oszilliert. Das geschmeidige, gesättigte, eher stumpfe als glänzende Material erzeugt durch seine Weichheit und Fragilität Spannung und einen starken Kontrast zu den herrschaftlichen Erscheinungen, die es in der Regel auf Festigkeit und Zeitlosigkeit abgesehen haben. Die überzeitliche Wirkung und Ausstrahlung, die sonst mittels Bronze oder Marmor gewährleistet werden soll und wird, scheint in Olivia Berckemeyers Figuren einer Gefährdung ausgesetzt. Die dargestellten Personen und damit ihre heldenhaften Posen und Machtansprüche verflüssigen sich tropfenförmig und schmelzen dahin.

Abgesehen von den Büsten empfindet man auch die modellierten Gesichter vieler der Plastiken als fragil und in Auflösung begriffen. Sie wirken längst nicht so expressiv und widerstandsfähig wie ihre Gesten und Haltungen, sondern zaghaft weich. Der ´starke Charakter´ der Heroen und Repräsentationsfiguren ist damit demaskiert und getilgt. Hinter der ´rauhen Schale´ kommt eine puppenhafte Dünnhäutigkeit zum Vorschein, das Manko und gleichzeitig der Motor der Herrschaft, der nicht selten in mangelndem Selbstvertrauen und in tief empfundener Unzulänglichkeit seinen Antrieb findet.

Entlarvend scheint auch die charakteristische Farbigkeit der Figuren: Diffuses Schwarz, körperloses Weiß und symbolträchtiges Rot können für die Kehrseite der Macht stehen: für zerstörerische Negativität, stumpfe Blasiertheit und Blutrunst.

Insgesamt ermöglichen Olivia Berckemeyer`s  Skulpturen auf eine unaufdringliche Art und auch nicht ganz ohne Humor den Blick auf eine Vielfalt von historischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten. Sie regen nicht nur die Auseinandersetzung mit einer langen Tradition der Kunstgeschichte an, sondern verweisen emblematisch verdichtet auf die unheilige Allianz zwischen Gewalt und Zivilisation. Nicht nur vermeintliche ´Schurkenstaaten´, sondern auch die sich mit humanistischen Grundsätzen schmückenden westlichen Gesellschaften sind in der Regel auf roher Gewalt gegründet. Dies wird allerdings selten offensichtlich, da viele ihrer Protagonisten mit der Zeit ihre Schrecken einbüssen und sich zu nationalen Errettern oder Stadtvätern transformiert haben.

Olivia Berckemeyer's Wax Sculptures

Thomas Groetz, 2007

To see Olivia Berckemeyer's sculptures the viewer must step up closely. He or she encounters miniature figures of leaders mounted on plinths, resembling the stylised portraits of an ancient occidental tradition. Soldiers on horseback, equestrian sculptures, corresponding dual portraits and portrait busts have been common role models for demonstrating political and ecclesiastical power since Antiquity.

Many of these figures also appear classical in their poses: gestures of victory, swords and sabres brandished towards the sky, staves planted in the ground – symbols of power, marking triumph and ownership. Horses, standing or galloping with pride, are allegories for the concentrated or storming brute strength, intrinsic to the warriors and leaders.

These traditional portrait types, which were especially common in the humanist tradition of the Renaissance are not only subverted by their miniaturisation, which has a belittling effect, but also in the manner they materialise. The artist forms, pours and drips the world’s great and powerful leaders in wax. This way they receive a kind of patina, which oscillates between lava, mud and icing. In its softness and fragility their sinuous, saturated, more matt than shiny material exhorts a fascination and stands in contrast to the stately guises, which generally represent endurance and immortality. The aura of eternity and the vibrancy, usually provided by bronze or marble, seem to be subjected to some kind of threat in Olivia Berckemeyer`s works. Drop by drop the people depicted, their heroic poses and their claims to power, liquidise and melt away.

The busts and many of the sculptures modelled faces appear fragile and in a process of dissolution. They don`t seem nearly as expressive and vigorous as their stances and gestures suggest, but tentatively soft instead. The ‘strong character’ of these heroes and representational figures is unmasked and extinguished. Behind their ‘rough shell’ they reveal their doll-like vulnerability  the flaw and also the motor of dominance, which is so often driven by a lack of self-confidence and a deep sense of insecurity. The figures’ characteristic colours – diffuse black, empty white and symbolic red – also seem to expose the downside of power – its destructive negativity, its blasé bluntness and bloodthirstiness.

Olivia Berckemeyer's sculptures offer a discerning and sometimes humorous view of an array of historical and social phenomena. Besides inspiring the viewer to take a new look at a classical tradition of art, they emblematically point at the unholy alliance between violence and civilisation. It is not only the alleged ‘rogue states’ are established by force, but often also those western societies which adorn themselves with humanist principles. However this fact is seldom evident, as many of their protagonists in time forfeit their terror and become national heroes.